GEHmuSEHum

bei den bemühungen, „museum“ nicht als statischen begriff zu sehen, als genau definierten sehraum, sondern ihn beweglich zu halten, zu erweitern und entgrenzen, spielt die kunstform der „performance“ ein wesentliche rolle. im unterschied zu den klassischen performances der siebzigerjahre hat inzwischen weltweit eine veränderung der sichtweisen darauf stattgefunden: die alten kriterien der unwiederholbarkeit und einmaligkeit beginnen sich aufzulösen und eine art re-theatralisiserung dieser kunstform spielt zusehends eine größere rolle.

das GEHmuSEHum ist in diesem kontext zu sehen. der ort (in diesem fall meist das weitläufige parkareal um schloss lind, aber auch andere plätze in der region) wird zu einem begehbaren text, den die leser*innen körperlich wahrnehmen können, weil sie sich mittendrin befinden. der raum wird dabei nicht als statisches und materiales architektur- oder landschaftsprojekt betrachtet, sondern im sinn von aktion, gebrauch und erfahrung (vor allem das gehen spielt eine zentrale rolle). im zentrum steht die vielzitierte „psychogeographie“ – die erforschung der unmittelbaren wirkung der geographischen umwelt mithilfe der unterschiedlichsten verfahrensweisen der kunst. diese immersive technik – dieses „eintauchen“ in durch licht, videos, installationen, musikalische und theatrale aktionen – verändert scheinbar bekannte umgebungen, lässt die begeher*innen zu performer*innen werden, denn auch sie werden von den anderen mitgeher*innen als teil des ganzen wahrgenommen.

die erkenntnisgewinne für alle beteiligten sind dabei vor allem in einer erweiterung er eigenen wahrnehmungsfähigkeit zu finden, die, weil vertrautes plötzlich als etwas verfremdetes vor einem steht, in einen permanenten abgleichungsprozess verwandelt wird. natur wird so zu kunstnatur, architektur zu kunstarchitektur und erinnerung zu einem spiel, das festgefahrene gedanken in bewegung versetzen kann.

erfordert schon der gang durch das ANDERE heimatmuseum und seine vielen außengalerien bei tag jede besucher*in heraus, so potenziert sich das bei den nächtlichen projekten des GEHmuSEHums, denn die nur partiell beleuchteten objekte und die alles beherrschende dunkelheit lassen so vielfältige, neue fokussierungen zu.

ermöglicht wurden die projekte von 2008 bis 2023. nicht ein regisseur im herkömmlichen sinn dirigiert die künstlerischen gestaltungsprozesse, sondern ein ermöglicher und anreger, der zu kolaborationen rund um von ihm vorgeschlagene themenfelder vor ort anstiftet.

andreas staudinger